The Road VS. The Road:
(Post)Apokalyptische Erlebnisse?

Vom Buch zum Film, dieser Schritt ist gleichsam geliebt wie auch verhasst. Einerseits ist es verlockend, ein spannendes Buch für die Leinwand inszeniert zu sehen – andererseits ist es enttäuschend, wenn man bemerken muss, was fallengelassen, verdichtet, gekürzt oder umgeschrieben wurde. Eine Adaption ist eben keine Umsetzung 1:1. Zwar muss diese nicht zwangsläufig scheitern, aber die Unterschiede des Filmerlebnisses sind manchmal gravierend im Vergleich zum Leseerlebnis.

Cormac McCarthys »The Road« und die zugehörige Verfilmung von Regisseur John Hillcoat sind beide ansprechende und zermürbende Werke, die Leser wie Zuschauer nicht loslassen. Die geschilderte postapokalyptische Welt ist trist, eiskalt und menschenverachtend. Die Gesellschaft ist zerstört, Gemeinschaft nur noch im engsten Kreis gegeben. Der Kampf ums nackte Überleben äußert sich in der Nacktheit derer, denen das Überleben abgesprochen wird. Hinter Kurven oder Ecken lauert nichts Neues mehr, nur Einöde und Gefahr. Der Film visualisiert McCarthys erzählten Alptraum und schafft es stellenweise darüber hinauszugehen. Die Rolle der Mutter, gespielt von Charlize Theron, klingt im Buch nur geringfügig an, wird im Film aber zu einer mitreißenden und schockierenden Schlüsselfigur menschlicher Existenz in unsicheren Zeiten. Während des gesellschaftlichen Zerfalls und der Rückbesinnung der Überlebenden auf das Recht des Stärkeren soll sie ein Kind gebären. Die Vorstellungen von gegenwärtigen und kommenden Gefahren lassen sie verzweifeln, denn sie weiß genau, dass der Ausspruch von Marie von Ebner-Eschenbach zutreffend ist: »Das Recht des Stärkeren ist das stärkste Unrecht.« Die Schwangerschaft wird zur Qual und die Intensität erreicht den Höhepunkt in der Gegenwehr gegen die Wehen, denn das Kind soll nicht in diese Welt kommen, in die auch sie nicht gehören. Die Stärke des Films liegt in dieser Figur.

Über den Rest der Strecke ist man aber dennoch nur Zuschauer, denn auch hier nimmt die Visualisierung die Eigenleistung ab. Das liegt nicht zuletzt an der zeitlichen Dichte. Nach 90 Minuten findet ein Film einen Abschluss – ein Buch benötigt und bietet zugleich mehr Zeit. Der Leser selbst gibt den geschriebenen Szenen mehr Spielraum zur Entfaltung. Umgekehrt erhält der Zuschauer von den gefilmten Szenen nur eine begrenzte Aufenthaltsberechtigung, bevor es weitergeht. Bei aller geschickten und ruhigen Inszenierung von John Hillcoat lässt sich auch dieses Dilemma nicht aus dem Weg räumen. Der Film bietet nur ein zeitlich begrenztes Angebot und verlangt viel Aufmerksamkeit und die richtige Atmosphäre wie zum Beispiel den dunklen Kinosaal. Der Leser hingegen erschafft sich ein imaginiertes Erlebnis und nimmt sich automatisch die Zeit dafür – ob nun unterwegs oder daheim auf der Couch. Man kann es mit dem Traum vergleichen, in dem Realzeit und Traumzeit voneinander losgelöst sind. Zwei Minuten des Schwelgens auf einer Seite lassen einem dennoch die Möglichkeit, sich die Komplexität von Situation und Gesellschaft vielfältig imaginiert vor Augen zu führen. Der Film verlangt hingegen ungeteilte Aufmerksamkeit, um alle Elemente und Bedeutungen zu erfassen. Das lässt sich als Nachteil für alle Adaptionen generalisieren. Aber das sind auch die Regeln des jeweiligen Mediums, auf die man sich einlässt, wenn man sich für Buch oder Film entscheidet.

Ob nun das Buch von Cormac McCarthy oder der Film von John Hillcoat gewählt werden, beide sind eine erstklassige Wahl. Die Frage bei der Auswahl ist jedoch vielmehr, wie sehr man sich ergriffen, schuldig und betroffen fühlen möchte. Zum Film bleibt stets eine gewisse Distanz – im Buch lebt man aber das Geschehen und wird selbst zum Protagonisten. Genau hier kommt auch McCarthys größter Schachzug zum Tragen: Der Leser stellt sich Fragen über die Zusammenhänge der Apokalypse. Aber warum sollte der Schreiber Antworten geben? McCarthy ist nur der Architekt, aber er lässt den Leser zum Regisseur einer kenntnislosen und tristen Welt werden.