Polizeiruf 110: Irgendwo Im Nirgendwo

Am 25.08.2013 lief in der ARD der vor einem Jahr in der Hansestadt Rostock und an der Universität gedrehte Polizeiruf 110 »Zwischen Den Welten« (D 2013). Der Krimi konnte sich in den letzten Tagen in den Köpfen setzen – nun ist es an der Zeit einen Strich zu ziehen, zusammenzufassen und die Rechnung zu präsentieren.

Spielt ein Film in der Stadt, in der man lebt, lässt sich eine Kritik schwieriger und vielleicht auch nur zweigeteilt verfassen. Einerseits will man den Spielfilm sachlich betrachten und sich dazu äußern, was davon zu halten wäre. Andererseits kann man sich auch nicht einem Kommentar zur Darstellung der Stadt im Film entziehen, die man nun durch eine andere und distanzierte Brille sehen soll. Das führt zu einer dritten Perspektive, die man als Zuschauer vielleicht seltener einnehmen kann. Es stellt sich die Frage nach dem Verhältnis von Repräsentation und Fiktion im Film – und sie lässt sich beantworten. Aber der Reihe nach.

In dieser Folge muss das Gespann Alexander Bukow und Katrin König den Tod der Jura-Studentin und Mama Julia Wenning aufklären. Moment. Studentin? Tatsächlich stellt Mentor Prof. Meiners sie so dar, dass sie bereits vor dem zweiten Examen stand. Wer aber die Studienstrukturen kennt, weiß, dass das zweite Examen nichts mehr mit dem universitären Studium zu tun hat. Neben dem offensichtlichen Leben, das Julia Wenning geführt hat, offenbart sich zunehmend eine andere Welt, die aus der Verquickung von Liebe, Sex, Bestechung und Enttäuschung besteht. Über die Nachbarn, den Professor, den Gatten und die beste Freundin wird Stück für Stück ein düsteres Leben der Toten entfaltet – und zwischen allem steht immer wieder die junge Tochter, die mit der Situation nichts anfangen kann. Alexander Bukow kümmert sich fürsorglich um das Mädchen und kommt der Vaterrolle nach, die bei seinen zwei Jungs dafür mehr und mehr auf der Strecke bleibt. Katrin König projiziert zudem die eigenen Kindheitserlebnisse und Schuldgefühle auf das Mädchen. Der Fall spiegelt sich deutlich in den Kommissaren und deren Leben wider. Einerseits ist das interessant, andererseits bleibt es nur eine Lösung, um das Drehbuch ohne Schnörkel konstruieren und Mustern folgen zu können: Hänsel und Gretel folgen den Brotkrumen. Die äußerst solide Inszenierung des Krimis und die Schauspieler täuschen gekonnt über die standardmäßige Entwicklung von Figuren, Story und anderen Unzulänglichkeiten hinweg.

Auch die Darstellung der Hansestadt Rostock als Setting erscheint enttäuschend. Das Rostocker Fernsehpublikum wird sicherlich mit Spannung erwartet haben, welche bekannte Ecke als nächstes auf dem Bildschirm erscheint. Close-Ups und starre Einstellungen statt Weitwinkel verhindern jedoch, dass sich beim Zuschauer überhaupt ein Bild der Stadt ergibt. Man erkennt zwar den Campus Ulmenstraße, die zugehörige Mensa und auch den Deutsche Med-Platz, aber man erhält unweigerlich den Eindruck der Verfälschung – alles wirkt anders als bekannt, alles wirkt reduziert, alles ist inszeniert. Besonders deutlich wird das an der Deutschen Med, denn in der kurzen Szene sind überproportional viele Schlipsträger zu sehen – die Realität zeigt ein anderes Bild auf. Aber das gehört einfach zur Inszenierung.

Das Rostocker Publikum sieht sich mit einer Situation konfrontiert, die für die Zuschauer von Tatort und sonstigen Produktionen in anderen deutschen Städten nichts Neues ist: Wie sehr repräsentiert der Film die Stadt, in der er spielt? Wie echt und nah dran an der bekannten Wirklichkeit ist er? Ist die Darstellung bei Boerne, Thiel und Wilsberg in Münster, bei Ballauf und Schenk in Köln und bei allen anderen wirklich anders? Oder konzentriert sich der Zuschauer, der die Städte nicht kennt, einfach nur auf die Figuren und die Story und lässt alles städtisch-repräsentative irrelevant werden? Insofern ist das Rostocker Dilemma, dass die Stadt im Polizeiruf nicht lebendig wird, auch nur ein kurzzeitiges, das beim nächsten Krimi schon wieder mit einer anderen Stadt geteilt wird.