Kunst: Die Leidenschaft – Die Leiden Schafft!

Neulich auf Facebook: Wie üblich wurden mir Beiträge von Sachen und Leuten angezeigt, die ich nicht kenne, nicht abonniert habe und die mich nicht interessieren. Ausnahmen bestätigen wie immer die Regel. Und so erhaschten Bilder von den Dreharbeiten für einen Kurzfilm in Rostock meine Aufmerksamkeit, bevor ich auf „alles von … verbergen …“ klicken konnte.

Rostock – an manchen Tagen wirkt diese Stadt wie der Nabel der Welt, an dem sich eine Vielzahl an künstlerischen, kreativen und ambitionierten Köpfen versammelt. Sie scheinen hierhergekommen zu sein, um der Welt mit Leidenschaft einen neuen Dreh zu verleihen, oder sie auch ein wenig auf den Kopf zu stellen. Sie probieren sich aus, variieren und erschaffen Neues. Sie brennen für die Kunst, der sie sich widmen. Die Leidenschaft der Künstler ist zu spüren. Im Publikum lassen sich im Gegenzug immer wieder vor Begeisterung leuchtende Augen finden – bei Konzerten wie von „The Rabby’n’Bosmus“, der Verköstigung und dem Gaumen-Genuss im Törtchen-Lokal oder bei Theater-Schauspielen wie „Der Ritter Vom Mirakel“ an der HMT. In Rostock finden auf vielfältige Art und Weise Kunst und Leidenschaft zueinander. Und das nicht nur durch die Künstler selbst, sondern auch durch diejenigen, die dem Ganzen ein Forum bieten, das sie aus Leidenschaft für die Kunst betreiben. Wer denkt nicht auch an das Literaturhaus, die Andere Buchhandlung, Herr Koreander oder das Li.Wu.? Nur ein Plattenladen fehlt nach wie vor in der Rostocker KTV. Ein Laden für das Herz, das über die Ohren erreicht wird. Die Leidenschaft für die Platte scheint aber da zu sein, denn am 27. Mai 2017 hat mit „Platt’n Fisch’n“ die erste Rostocker Plattenbörse im Peter-Weiss-Haus stattgefunden. Das Publikum kam, sah – die Augen leuchteten und die Ohren glühten.

Rostock – an manchen Tagen ist diese Stadt künstlerisch ein sehr heißes Pflaster und man weiß gar nicht, wohin es als erstes gehen soll. Und das ist nicht nur zur „Kunstnacht“, wie letztens am 26. Mai 2017, der Fall. Was aber meistens im Verborgenen bleibt, das ist der lange und manchmal beschwerliche Weg hin zu dem, was dem Publikum als Kunst präsentiert wird. Das Schreiben von Büchern, das Komponieren von Songs, die Proben für das Theaterstück, das Backen der Torte – oder erst recht der große Aufwand, der mit dem Schreiben, Drehen und Schneiden eines vielleicht nur kurzen Filmes verbunden ist. Nachdem die Bilder von den Dreharbeiten meine Aufmerksamkeit erhascht hatten, klickte ich mich schnell hindurch und habe erfahren, dass der Film vom Wiedersehen von Jugendfreunden bei einem Klassentreffen handelt. Es geht um „Alte Zeiten“ – so auch der Titel des Kurzfilms – und die Gegenwart, in der jeder an ganz unterschiedlichen Punkten im Leben steht. Die Bilder haben sofort gezeigt, mit welchem technischen und organisatorischen Aufwand an die Produktion herangegangen wurde. Das wurde umso interessanter, als sich herausstellte, wer dahintersteht: Benjamin Hujawa, Student der Anglistik sowie der Medien- und Kommunikationswissenschaften, inszeniert mit „Alte Zeiten“ nach „Meer“ seinen zweiten Kurzfilm und hat sich dafür wieder professionelle Unterstützung vor und hinter die Kamera geholt.

Als ich von diesem Projekt gelesen und diese ersten Einblicke erhalten habe, war sofort das Interesse da, mehr darüber zu erfahren. Zu dem Zeitpunkt war ich gerade mitten in der Vorbereitung des Seminars „Currently Playing – Gegenwart der Filmsoziologie“, das bald stattfinden sollte. Kurzentschlossen habe ich im Seminarplan eine Einheit geblockt und über Facebook bei „Alte Zeiten“ angefragt, ob denn Lust und Laune zu Vortrag und Diskussion vorhanden sind, um das soziologisch-theorieorientierte Seminar mit echten Einblicken aus der Produktion zu ergänzen. Gefragt. Geantwortet. Gesagt. Getan. Gemeinsam mit Max Gleschinski, Absolvent der Philosophischen Fakultät, der vor kurzem die Produktionsfirma „Von Anfang Anders“ gegründet hat, ist Benjamin Hujawa in das Seminar gekommen. Beide haben äußerst spannende Einblicke in „Alte Zeiten“ und sehr viel „Meer“ gegeben – und im Publikum haben auch hier die Augen wieder sehr geleuchtet.

In „Meer“, den Benjamin Hujawa 2015 in Rostock gedreht hat, geht es um die einsetzende Unsicherheit bei Jugendlichen, wenn sie sich nach der Sicherheit der schulischen Laufbahn auf eigene Beine stellen wollen und müssen. Entscheidungen für sich selbst und für den weiteren Weg müssen getroffen werden. Gleichzeitig spielen die Erwartungen und Vorstellungen von anderen – namentlich Mama und Papa – eine manchmal auch noch schwerwiegende Rolle, weil sie noch nicht loslassen können. Ebenso können sich auch Institutionen querstellen, indem man abgelehnt und einem der Zugang verweigert wird. Der Protagonist in „Meer“ möchte gerne die „brotlose“ Kunst der Schauspielerei aufnehmen, die er leidenschaftlich verfolgt. Die Empfehlung der Zulassungskommission, sich lieber für einen anderen Zweig als die Schauspielerei zu entscheiden, ist der Punkt, an dem die Leidenschaft jedoch plötzlich Leiden schafft. Der Protagonist ist in einer Phase, in der er hin- und hergerissen ist zwischen Erwartungen, Vorstellungen und Hoffnungen, an der er an Abzweigungen steht, aber noch keine Wegweiser sieht. Stattdessen sind es Enttäuschungen, die er vor Augen hat. In seinem Drehbuch knüpft Benjamin Hujawa wunderbar an die Phasen der Unsicherheit und Orientierungslosigkeit an, die einen immer wieder erfassen können. Unweigerlich kommen „Die Ärzte“ mit dem Song „Langweilig“ in den Sinn, denn „Meer“ bringt im Kern zwei Zeilen daraus zum Ausdruck: „Und ich stell mir wieder die alten Fragen: Wo komm ich her, wo geh ich hin und wieviel Zeit werde ich noch haben?“

In „Alte Zeiten“, der sich gerade im Schnitt befindet, treffen sich Jugendfreunde nach langer Zeit wieder. Auch hier zeichnet sich bei den einen eine Orientierungslosigkeit ab, während bei den anderen eine Gewissheit vorliegt, aber nur, weil sie sich nicht vor Augen halten, dass sie den Wendepunkten auf den Wegen ausweichen. Während eines eigentlich freundschaftlichen Wiedersehens entladen sich so die inneren und äußeren Konflikte aller und zwischen einzelnen in die gesamte Runde und sie müssen sich fragen, welche Bedeutung diese Freundschaft hatte und noch hat. Der fertige Schnitt des Films kann mit Spannung erwartet werden, denn das Drehbuch macht bereits Lust auf mehr.

Lust auf mehr, das Verspüren Benjamin Hujawa und Max Gleschinski. Im Rahmen der „Rostocker Schule“, die an das Institut für Neue Medien angelehnt ist und an dem sich beide kennengelernt haben, drehen sie weitere Kurzfilme mit Studierenden der HMT, die damit auch einen verpflichtenden Kurs absolvieren. Zuletzt hatten zwei solcher Kurzfilme von Max Gleschinski beim „FiSH-Festival“ Premiere. Die „Rostocker Schule“ hat den Episodenfilm „Durstig“ präsentiert, der aus fünf einzelnen Geschichten besteht. Das Ziel war, jeden Tag einen Film zu drehen. Durstig, das sind sie beide. Der Durst nach mehr ist da. Vielleicht folgt nach dem Studium noch ein Studium für Drehbuch oder Regie?

Die beiden jungen Männer mit der Leidenschaft für das Filmemachen brennen darauf, richtig loszulegen. Derzeit bereitet Max Gleschinski seinen ersten Langspielfilm vor, den Thriller „Kahlschlag“. Das Projekt hat von der Filmförderung M-V 10.000 Euro Produktionsförderung erhalten. Die Vorbereitung läuft und die Drehorte in der freien Natur sind bereits gefunden. Im Augenblick hat sich Max Gleschinski aber wieder vor den Bildschirm zurückgezogen, denn es muss an der nächsten Fassung des Drehbuchs gearbeitet werden. In Gesprächen mit Freunden, Filmschaffenden und bei der Präsentation im Wettbewerb bei „Sehsüchte – International Student Film Festival“ hat sich viel Feedback ergeben, das nun einfließen kann. Demnächst heißt es also wieder: Licht, Kamera und Action! Nächstes Jahr soll „Kahlschlag“ aus M-V in die deutschen Kinos kommen. Wer weiß, vielleicht läuft die Premiere im Li.Wu. – mit „Alte Zeiten“ als Vorfilm. Rostock, was hast du nicht alles zu bieten …