Der Zimmermann #1:
Fluch(T) Der Klapperschlange?

»Du bist Plissken? Ich dachte, du wärst tot.« – Snake Plissken, häufig totgeglaubt, ist eine lebende Legende. Zumindest in der dystopischen Welt des Jahres 1997, die 1981 von John Carpenter erschaffen wurde. Allerdings gibt einem erst der Roman zum Film die Antworten, um diese verrückte Welt zu verstehen. Die Ahnungslosigkeit hat aber auch etwas für sich.

John Carpenter’s »Escape From New York« (USA 1981), der in Deutschland nicht als »Flucht Aus New York«, sondern fälschlicherweise als »Die Klapperschlange« bekannt ist – Snake Plissken trägt das Tattoo einer Kobra – ist ein Film, der trotz vorhandener Fehler den Eindruck von Perfektion hinterlässt. Als Zuschauer erhält man nur einen Einblick in diese Welt, während man mit Snake Plissken eine Reise durch sie antritt. Das Abenteuer lebt vom Mythos – und der Mythos entsteht durch das, was nicht weiter ausgeführt wird.

John Carpenter hat den Film geradlinig und schnörkellos inszeniert und auf das Wesentliche reduziert: Die Prämisse und das Geschehen. Weniger ist mehr. Das aber zu erreichen, ist kein einfaches Unterfangen. Die wohl beste Entscheidung ist nach wie vor, dass die ungefähr acht Minuten lange Eröffnung, an deren Ende Snake Plissken verhaftet wird, gestrichen wurde. Im Film folgt die erste Sequenz mit dem legendären Protagonisten nun erst in der achten Minute, als er an der Freiheitsstatue ankommt, um in das Gefängnis, das einmal der New Yorker Stadtteil Manhattan gewesen ist, überstellt zu werden. Bis er wieder in Erscheinung tritt und den ersten Satz spricht, vergehen noch einmal neun Minuten.

Der Film folgt unmittelbar dem auslösenden und vorantreibenden Element, so, als wäre man mitten im Geschehen. Die Charaktere sprechen mit einer Selbstverständlichkeit vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Strukturen und von Ereignissen, die zu dieser Gegenwart geführt haben. Als Zuschauer erfährt man nur wenig, was über den Augenblick hinausführt oder die Charaktere betrifft. Alles Weitere bleibt einem verwehrt – zumindest, bis man sich mit dem Roman von Mike McQuay beschäftigt, der das Drehbuch von John Carpenter und Nick Castle belletristisch aufbereitet hat. Die kriegerischen Geschehnisse um Leningrad, auf die Plissken und Hauk immer wieder verweisen, werden im Buch erläutert. Der Leser lernt erst hier die Welt besser zu durchschauen. Die inhaftierten Menschen in New York sind entweder Verbrecher oder, infolge kriegerischer Akte mit Nervengas, verrückt geworden. Die stationierten Sicherheitskräfte – im Buch als Schwarzröcke bezeichnet – sind ebenfalls verrückt, jedoch so sehr, dass sie perfekt sind für diesen gnadenlosen Job – jedenfalls, wenn sie unter Kontrolle gehalten werden. Das alles wird erst im Buch deutlich. Der Film vermittelt nur die Grundlagen, nämlich wie die Regeln zum Überleben lauten.

Viele Eigenschaften, Denkweisen und Taten von Plissken, Hauk, dem Präsidenten, Brain – dem wenig vertrauenswürdigen Ex-Kumpel von Plissken – und Cabbie werden erst auf dem Papier sichtbar, nicht aber auf Zelluloid. Dennoch bietet der Film viel mehr als nur eine oberflächliche Charakterisierung aller Figuren. Als Zuschauer ist man durch die enge Zeitspanne zwischen Entstehung des Problems – Air Force One stürzt über Manhattan ab – und dessen Lösung – Plissken wird hineingeschickt, um den Präsidenten herauszuholen und sich so zu rehabilitieren – schlichtweg nur mit einem Auftrag unterwegs. Man erlebt und erfährt dasselbe wie Plissken. Die Szenen ohne Snake gehen nicht wirklich über das hinaus, was er erfährt. Die Charaktere wissen daher tatsächlich einmal mehr als die Zuschauer. Stichwort: Leningrad. Das Buch löst das auf und stillt die Neugierde. Das Besondere an dem Film ist aber, dass man trotz der geringen Dichte an Informationen nichts vermisst – wie bei einer abenteuerlichen Reise ins Unbekannte. Normalerweise werden filmische Adaptionen von Büchern für Kürzungen und andere Änderungen kritisiert. Nun ist es fast schon der umgekehrte Fall: Das Buch, das zu viele Worte macht.