Inzwischen sind sie 25 Jahre im Geschäft und haben sechs Alben veröffentlicht. Die Wartezeit zwischen jedem davon rangierte zwischen endlos lang und einer zermürbenden Geduldsprobe. Abgesehen von einer Ausnahme hat sich das Warten aber immer gelohnt – auch das neueste Album von »The Prodigy« ist laut, energiegeladen … bombastisch.
Das ist allerdings nicht selbstverständlich, denn die Gefahr war latent vorhanden, dass »The Day Is My Enemy« zu einem echten Langweiler wird, der nur noch den Schatten einer Band darstellt, die immer wieder zu den besten Live-Bands überhaupt gezählt wird. Am 12.01.2015 wurde das neue Album angekündigt. Ein erster Track – »Nasty« – hatte noch am selben Abend in der Show von Zane Lowe bei BBC Radio 1 die Premiere. Satte Sounds und fette Beats waren – wie zu erwarten – enthalten. Der bittere Beigeschmack war jedoch, dass es sich nicht überragend neu und unerwartet angehört hat, sondern wie ein Marschieren in den schon lange vorhandenen Spuren. Bereits vierzehn Tage später dasselbe Spiel. Dieses Mal wurde der titelgebende Track veröffentlicht, der einen großen Sprung nach vorne darstellte. Und dann gab es einige Zeit später noch »Wild Frontier« – gepaart mit einem hervorragenden Stop-Motion-Clip.
Anschließend stand jedoch die Veröffentlichung von »Wall Of Death« an und es stellte sich wieder die gedrückte Stimmung ein, dass dieses neue Album wohl alles andere als neu sein würde. Bei den Tracks von »The Prodigy« ist es immer eine besondere Freude, Klangspiele wahrzunehmen – vor allem, wenn sie live auftreten. Liam Howlett schafft es immer wieder, Schlenker in die Beats und Samples einzubauen, mit denen man nicht rechnet und die dem Track noch mehr Wucht verleihen. Die ersten Auskopplungen aus dem neuen Album haben aber vermuten lassen, dass er sich an den Schaltknöpfen des Mischpults der Langeweile hingegeben hat, so dass nur Tracks von einer halben Minute Länge herausgekommen sind und er sich gezwungen sah, sie mindestens fünfmal hintereinander wiederholen zu lassen.
Die Vorfreude auf das neue Album wurde also von einem leicht bitteren Beigeschmack gebremst. Andererseits trifft auf die Band nach wie vor zu, was sie bereits in den 90ern selbst über sich gesagt haben: Die Alben sind nur die Soundtracks für die Live-Shows. Wer »The Prodigy« wirklich erleben und genießen will, braucht mehr als nur ein Album.
Erst einige Zeit nach der Veröffentlichung war es soweit, dass ich das Album von A bis Z abspielen konnte. Das ist halt dem Ideal geschuldet, dass nur auswärts beim Plattendealer des Vertrauens gekauft wird. Die Geduld, die Vorfreude, aber auch eine schlimme Befürchtung haben den Weg bis zum Drücken der Play-Taste begleitet. Nach einer weiteren Stunde waren aber alle Zweifel verschwunden. Die neue Scheibe der Electro-Rocker ist alles andere als langweilig und eingestaubt. Diese Platte schreit einem von Anfang an entgegen: Der Tag ist der Feind, die Nacht ist der Freund – tanz die ganze Nacht, ohne Ende. Und nicht nur das: Die Stücke, die die Band nicht vorab veröffentlicht hat, sind noch besser. Sie sind schnell und bringen neuen Schwung ins Spiel. Gleichzeitig erscheinen sie so, als hätte sich Liam Howlett an die frischen und frechen Zeiten von »Experience« und »Music For The Jilted Generation« erinnert und die perfekte Symbiose mit dem Rock von »The Fat Of The Land« und »Invaders Must Die« geschaffen. Von »Always Outnumbered – Never Outgunned« spricht niemand – das Beste an diesem Album war nur der Titel.
Wahrscheinlich hat sich noch kein Album der Band so entspannend und harmonisch von Anfang bis Ende angefühlt. Die Vielfalt und Komplexität von »The Fat Of The Land« erreicht die Band wohl nie wieder, aber das muss sie auch nicht. Die neuen Tracks sind Beat-Bomben. Liam Howlett hat sein Versprechen gehalten und ein Album abgeliefert, das wie eine großartige Nacht in einem Club ist. Und so findet »Wall Of Death« nach allen anderen dreizehn Songs seine wahre Bestimmung: Es ist der Rauswerfer-Song des Albums.