Citizen Kane VS. Stranger Than Paradise:
Zerplatzende Träume?

»Rosebud.« / »Hey. I am as American as you are.« – Wie bringt man den als bester amerikanischer Film betitelten »Citizen Kane« (USA 1941) von Orson Welles mit dem Cannes-Caméra d’Or-Gewinner »Stranger Than Paradise« (USA 1984) von Jim Jarmusch in einen Zusammenhang, wenn diese auf den ersten Blick nichts gemeinsam haben? Zumindest zeichnen sich auf den zweiten Blick ungeahnte Parallelen ab.

Der unmittelbarste Unterschied zwischen den Filmen liegt in der Narration. Während Orson Welles die Lebensgeschichte um Charles Foster Kane herum konstruiert, nutzt Jim Jarmusch nur einige Eckpunkte und ersinnt keinen komplexen roten Faden. Die Handlung läuft scheinbar auf nichts hinaus, sondern besteht nur aus der Aneinanderkettung von Alltagssituationen. In »Citizen Kane« steht das Drama um den Medienmagnaten im Mittelpunkt, für den sich der amerikanische Traum in wirtschaftlicher Hinsicht vollends erfüllt hat. Mit seinem letzten Atemzug haucht er das Wort »Rosebud« aus – ein erst am Ende erkennbarer Verweis auf seinen Schlitten aus Kindheitstagen. Dahinter steckt der metaphorische Verweis auf seine Kindheit und die Verluste, die er durch die eingeschlagenen Wege und den Erfolg erfahren hat. Die nachgezeichnete Biographie und die Reflexion des Protagonisten werden somit zu einer tristen Allegorie auf die Erfüllung des amerikanischen Traums.

Eine solche Allegorie auf den amerikanischen Traum versteckt sich in »Stranger Than Paradise« jedoch nicht in einer durchkonstruierten Story wie in Orson Welles Frühwerk, sondern zeichnet sich höchst abstrakt in den Facetten der schlicht handelnden Charaktere und den einfach gehaltenen Szenen des Films ab. Deutlich wird dies unter anderem, wenn Willie die ungarischen Wurzeln immer wieder abstößt, indem er nur Englisch und nicht Ungarisch spricht, sich als genauso amerikanisch und der neuen Welt zugehörig bezeichnet, wie es auf seinen Freund Eddie zutrifft, oder wenn sich das Trio vom verschneiten Cleveland in Ohio auf den Weg in das sonnige Paradies Florida im Süden der USA macht – dann geht es um die Erfüllung von Träumen. Aber genau wie in post-apokalyptischen Werken, in denen der Süden für ein besseres Leben steht, die Erwartung jedoch nicht erfüllt wird, sondern sich nur wieder neue Scheidewege auftun, finden die Drei auch in Florida kein Paradies – obgleich das Filmsegment diesen Titel trägt.

Die von Jim Jarmusch konstruierten Figuren scheinen jeweils drei Phasen der Traumverwirklichung zu durchlaufen.

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Das Besondere daran ist aber, dass die beiden aus Ungarn stammenden Eva und Willie diese Phasen Schritt für Schritt durchlaufen, wohingegen der gebürtige Amerikaner Eddie den beiden gegenüber vielmehr eine entgegengesetzte Konstante bildet. Eddie durchläuft die Phasen stattdessen dauerhaft und parallel zueinander, nicht in einer Abfolge. Und in diesem Sinne lässt sich der Schluss des Filmes möglicherweise auch interpretieren: Willie hatte Ungarn unlängst zurückgelassen und schritt in der neuen Welt voran, stets auf der Suche nach Erfolg. Aber auch das Paradies stellte sich als äußerst trist heraus, sodass er inmitten der Reise stets irgendwie verloren war. Wenn auch kurios-versehentlich, so lässt Willie am Ende auch die neue Welt zurück und reist wieder nach Ungarn. Eva hingegen, die eigentlich nach Ungarn zurückkehren wollte, bleibt doch in den USA und beginnt den Kreislauf von vorne. Beide vollziehen also einen inter-kulturellen Drei-Schritt. Eddie hingegen – der Amerikaner – sieht vermeintlich beide abreisen und kehrt alleine zurück. Sein Drei-Schritt bleibt konstant – und stagnierend: intra-kulturell. Das Woher und das Wohin als Fragen von Identität, Individualität, Postmoderne und Globalisierung kommen bei Eddie nur minimal zum Tragen. Der Nenner beider Filme ist vielleicht dieser: gelebte Träume / zerplatzte Träume.