Nattevagten VS. Nightwatch:
Kulturvergleich Durch Filmvergleich?

»Nattevagten« Vs. »Nightwatch« Oder: Original Vs. Remake. Diese zwei Thriller aus den 90er-Jahren sind nahezu identisch, aber nicht 1:1 – denn in der von Hollywood geprägten Filmkultur erscheint Bekanntes oft in neuen kulturellen Einfärbungen. Häufig ist dies zum Nachteil für die Neuauflage.

Spannend sind die Geschehnisse um den Studenten Martin und dessen Nachtschichten in der Pathologie sowie die Mutproben mit seinem Freund in beiden Filmen umgesetzt. Während der Nächte in der Leichenhalle gerät Martin zudem als Sündenbock ins Visier eines Killers. Der Thriller »Nattevagten« (Dänemark 1994) und dessen US-Remake »Nightwatch« (USA 1997), beide außergewöhnlicherweise von Autor und Regisseur Ole Bornedal gedreht, werfen Fragen nach kulturellen und industriellen Faktoren auf, die normativen Einfluss auf Produktion und Inszenierung der Filme haben.

Ob nun in den USA, Dänemark, Großbritannien oder Japan – verallgemeinernd lässt sich sagen: Filmkonsum dient primär zur Entlastung und zum Abschalten, Unterhaltung ist ein Mittel zur Abkehr von der Normalität. Aber: Jeder sieht Filme anders. Der Kulturkreis, die Sozialisation und die Identität des Rezipienten spielen eine wichtige Rolle beim Sehen – konstruiert sich doch jeder seinen individuellen Film neben dem Leinwandspektakel. Dennoch: Filmemacher, Industrien und Kulturkreise haben inszenierungsrelevante Vorstellungen davon, wie Filme gesehen werden und auch zu sehen sind. Geht man nun von einer Hollywoodisierung des internationalen Kinos aus, dürften die Unterschiede zwischen Original und Remake nur marginal ausfallen – oder? In Handlungsablauf, Figurenentwicklung und Unterhaltungswert sind »Nattevagten« und »Nightwatch« tatsächlich fast identisch. Die minimalen Unterschiede sind dafür aber gravierend. Dies äußert sich vor allem im abweichenden Verhalten, zu dem sich die Freunde immer wieder verleiten lassen, um aus der Stagnation ihres Lebens auszubrechen: Während Martin etwa im dänischen Original von einer Prostituierten in einem voll besetzten Restaurant einen Blowjob bekommt, beschränkt sich die amerikanische Inszenierung auf einen angedeuteten Handjob. Sicherlich nicht zuletzt, weil die dortige Freigabebehörde MPAA stets Probleme mit sexuellen Andeutungen oder Handlungen im Film hat, weniger dagegen mit dargestellter Gewalt. Das ist sicherlich eine bedeutende Restriktion für die Inszenierung der Neuauflage gewesen. Aber was führte zur Änderung, dass im Remake nicht deutlich wird, was die Freundin von James macht? Im Original ist sie Pfarrerin und Martin konfrontiert seinen Freund beim Gottesdienst mit der heiklen Herausforderung, das Abendmahl von ihr abzulehnen. Im Remake findet sich davon keine Spur mehr. Unter welchen Bedingungen entstehen also zum Beispiel europäische und amerikanische Filme, welchen Vorstellungen vom Wollen und Sollen des Sehens unterliegen sie? Wenn es den Protagonisten um die Auseinandersetzung mit dem Erwachsenwerden geht und die Herausforderung in einem von gesellschaftlichen Normen abweichenden Verhalten liegt, dann findet dies im Remake letztendlich oberflächlicher statt. Das Original ist deutlich handlungsbetonter und grenzüberschreitender. Zudem scheint das Remake den Zuschauer noch mehr zu unterschätzen: Alle Spuren deuten auf Martin als Killer hin, so auch der namentliche Verweis durch ein Opfer. Dem Original reichen hierfür die blutigen Buchstaben »MA« auf dem Bettlaken, das Remake benötigt jedoch ein »MARTI«. Doch zum Filmsehen gehört eine Eigenleistung des Zuschauers, die in dieser Adaption reduziert wurde – und dem Film so auch die Luft zum Atmen nimmt. Und so bleibt, kulturelle Unterschiede hin oder her, am Ende nur wieder festzustellen, was in »Scream 4« (USA 2011) passend zusammengefasst wurde: »Du missachtest die erste Regel von Remakes. Leg dich nicht mit dem Original an.«